Olympia-Stätten als Lost Places – Geisterstädte oder nachhaltige Planungen

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Olympische Spiele gelten als das größte Sportereignis der Welt – eine Bühne für internationale Höchstleistungen, nationale Identität und globale Aufmerksamkeit. Doch wenn das Feuer erloschen ist, Athleten abgereist sind und Kamerateams verschwinden, bleibt oft mehr zurück als nur Erinnerungen.

Viele Olympia-Stätten werden zu sogenannten „Lost Places“ – verlassenen Orten, die einst mit Leben gefüllt waren und nun als Mahnmale verfehlter Planung verfallen. Andere hingegen schaffen es, sich in das urbane Leben zu integrieren und werden nachhaltig genutzt. Der vorliegende Artikel beleuchtet beide Seiten: Wie werden Olympia-Stätten nach dem großen Event weitergenutzt – und wann enden sie als Geisterstätten?

Was sind Lost Places – und was bedeutet nachhaltige Planung?

Als „Lost Places“ werden verlassene, oft vergessene Gebäude oder Orte bezeichnet, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr genutzt werden. Sie erzählen Geschichten von Aufbruch, Scheitern und Verfall. Bei Olympia-Stätten wird der Begriff häufig dann verwendet, wenn die Sportanlagen, Dörfer oder Stadien nach dem Event kaum oder gar nicht mehr genutzt werden, verwildern oder gar verfallen.

Dem gegenüber steht die Idee nachhaltiger Planung. Darunter versteht man die bewusste Integration von Olympia-Bauten in die Stadtentwicklung – durch Umnutzung, dauerhafte Integration in den städtischen Sportbetrieb oder durch soziale Projekte. Nachhaltigkeit meint hier nicht nur ökologische, sondern auch soziale und ökonomische Langfristigkeit.

Klassische Beispiele für Olympia-Stätten als Lost Places

Athen 2004 – das Symbol gescheiterter Olympia-Nutzung

Athen steht beispielhaft für den Verfall olympischer Infrastruktur. Trotz Investitionen von über 9 Milliarden Euro blieben viele Sportstätten nach den Spielen ungenutzt. Bereits wenige Jahre nach dem Event waren die Anlagen verwildert, Schwimmbecken ausgetrocknet, Sitze demoliert. Einige Hallen wurden zwar kurzfristig als Flüchtlingsunterkünfte genutzt, doch ein nachhaltiges Konzept fehlte. Der wirtschaftliche Kollaps Griechenlands tat sein Übriges: Heute wirken viele Orte wie Mahnmale gigantischer Fehlinvestitionen.

Sarajevo 1984 – olympischer Glanz und Kriegsfolgen

Die Olympischen Winterspiele 1984 in Sarajevo waren für das damalige Jugoslawien ein Prestigeprojekt. Heute sind viele Anlagen schwer gezeichnet. Das Skisprungstadion, die Bobbahn auf dem Trebević oder das Hotel Igman sind Ruinen. Der Bosnienkrieg (1992–1995) verwandelte Sportstätten in militärische Stellungen und Ziele. Noch heute sind Einschusslöcher sichtbar, viele Anlagen bleiben dem Verfall überlassen. Sie stehen nicht nur für gescheiterte Planung, sondern auch für die fragile politische Realität der Region.

Berlin 1936 – NS-Prestigeprojekt mit zwiespältiger Nachgeschichte

Das Olympische Dorf in Elstal, erbaut für die Sommerspiele 1936, ist ein historisch besonders belasteter Ort. Während das Stadion bis heute genutzt wird (u.a. vom Berliner Fußballclub Hertha BSC), verfiel das Dorf über Jahrzehnte. Teile wurden von der Wehrmacht genutzt, später von der Sowjetarmee. Erst in den letzten Jahren erfolgte eine teilsanierte Wiederbelebung. Das Jesse-Owens-Haus wurde restauriert, andere Gebäude sind inzwischen denkmalgeschützt oder dienen als Wohnraum. Ein Paradebeispiel für den schwierigen Umgang mit historisch belasteter Bausubstanz.

Atlanta 1996 und Rio 2016 – verpasste Chancen im Westen und Süden

Auch in westlichen Demokratien gibt es Negativbeispiele. In Atlanta etwa steht das Herndon-Stadium, einst für Hockey genutzt, heute verlassen auf einem Campus. Ähnlich düster das Bild in Rio de Janeiro: Bereits ein Jahr nach den Spielen 2016 zeigte sich der olympische Park als Geisterareal. Schwimmhallen schimmelten, Stromleitungen waren gekappt, das „Aquatics Stadium“ wurde nie demontiert oder umgewidmet. Die wirtschaftliche Lage Brasiliens sowie Korruptionsvorwürfe erschwerten die nachhaltige Nachnutzung.

Warum verfallen Olympiastätten?

  • Finanzielle Überlastung: Viele Städte unterschätzen die Kosten für Bau, Erhalt und Umbau. Schuldenberge nach Olympia lassen kaum Spielraum für Nachnutzungskonzepte.
  • Fehlende Planung: Nicht selten konzentriert sich die Planung auf den Event selbst. Langfristige Konzepte für Nachnutzung fehlen oft oder sind nicht bindend.
  • Politischer Wandel: Regierungen wechseln, Zuständigkeiten verschwimmen, Prioritäten ändern sich – was zur Folge hat, dass Nachnutzungskonzepte nicht konsequent verfolgt werden.
  • Gesellschaftlicher Wandel: Bevölkerungsrückgang, städtische Umstrukturierungen oder Konflikte können dazu führen, dass einst zentral geplante Orte entwertet werden.

Positive Beispiele: Wenn Olympiastätten weiterleben

Paris 2024 – Modellfall für nachhaltige Spiele?

Noch bevor die Spiele in Paris begonnen haben, wird der Veranstalter für sein nachhaltiges Konzept gelobt. Viele Disziplinen werden auf temporären oder bereits bestehenden Flächen ausgetragen: Beachvolleyball vor dem Eiffelturm, Skateboarding in der Innenstadt, Schwimmen in bestehenden Hallen. Das Olympische Dorf wird später als Wohnanlage genutzt, mit Fokus auf Energieeffizienz und sozialem Wohnungsbau. Auch der Bau von neuen Sportstätten wurde auf das Nötigste reduziert. Paris verfolgt damit einen Weg, der Schule machen könnte.

Berlin – schrittweise Wiederbelebung des Olympischen Dorfs

In Elstal bei Berlin wurden Teile des Olympischen Dorfs restauriert. Das Jesse-Owens-Haus ist heute ein kleines Museum, andere Gebäude dienen inzwischen als Wohnungen. Die denkmalgerechte Sanierung stellt eine architektonische Herausforderung dar, zeigt aber auch, wie sich historische Sportstätten mit Geschichte behutsam integrieren lassen.

München 1972 – Parklandschaft und Eventfläche

Der Olympiapark in München ist ein Paradebeispiel gelungener Nachnutzung. Das Stadion war bis 2005 Heimspielstätte des FC Bayern München, das Gelände wird bis heute für Konzerte, Feste und Sportveranstaltungen genutzt. Die Anlage ist frei zugänglich, gut gepflegt und mit dem Olympiaturm eine Touristenattraktion. Sogar sportliche Großevents wie das European Championships 2022 fanden hier erneut statt.

Geisterstadt oder Chance? Eine Bewertung

PerspektiveNachhaltige NutzungRisiken bei Verfall
SozialWohnen, Bildung, IntegrationVereinsamung, Kriminalität, Symbol für Fehlinvestition
ÖkonomischDauerhafte Nutzung spart RessourcenUnterhaltungs- und Sanierungskosten, Stillstand
ÖkologischWiederverwertung, RessourcenschonungVersiegelung, Abfall, Energieverschwendung
StadtentwicklungImpulse für neue QuartiereUrbaner Leerstand, negative Symbolik

Was muss sich ändern? Handlungsempfehlungen

  • Verbindliche Nachnutzungskonzepte: Schon bei der Bewerbung sollten konkrete, überprüfbare Nachnutzungsstrategien vorgelegt werden.
  • Kommunale Einbindung: Statt zentralisierter Großplanung sollten Kommunen und Zivilgesellschaft aktiv an der Konzeption beteiligt sein.
  • Modulare Bauweise: Temporäre Bauten, die nach Olympia wiederverwendet oder rückgebaut werden können, helfen, Leerstand zu vermeiden.
  • Öffentlich-private Partnerschaften: Eine sinnvolle Mischung aus staatlicher Finanzierung und privater Investition kann Ressourcen bündeln.

Spuren oder Narben?

Olympische Spiele hinterlassen immer Spuren – im Stadtbild, im kollektiven Gedächtnis, im Etat. Ob diese Spuren positiv wirken oder zu Narben werden, hängt maßgeblich von der Planung ab. Athen, Sarajevo und Rio zeigen, wie schnell Prestigeprojekte zu Mahnmalen verfallen können. München, Berlin und Paris hingegen verdeutlichen, dass nachhaltige Planung durchaus möglich ist. Olympia muss sich neu erfinden – nicht nur im Sinne des Sports, sondern auch im Interesse der Städte, ihrer Menschen und der Umwelt.

Ausblick

Mit den Olympischen Spielen 2024 in Paris steht ein neuer Prüfstein für nachhaltige Planung bevor. Die Versprechen sind ambitioniert, die Umsetzung bleibt abzuwarten. Auch Los Angeles 2028 möchte vieles anders machen – mit Fokus auf existierende Infrastruktur und einem innovativen Mobilitätskonzept. Bleibt zu hoffen, dass Olympia in Zukunft nicht nur als sportliches, sondern auch als städtebauliches Vorbild glänzt – und Lost Places endgültig der Vergangenheit angehören.

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