Wohnen

Häusliche Gewalt und das Mietrecht: Wenn das Zuhause kein sicherer Ort mehr ist

Wenn das Zuhause zur Gefahr wird

Für viele Menschen bedeutet die eigene Wohnung Sicherheit, Geborgenheit und Rückzugsort. Doch für hunderttausende Betroffene häuslicher Gewalt ist genau das Gegenteil der Fall: Ihr Zuhause wird zur Bedrohung. Laut dem Bundeskriminalamt wurden allein im Jahr 2023 mehr als 256.000 Menschen Opfer häuslicher Gewalt. Der Großteil der Fälle betrifft Frauen. Doch selbst wenn Betroffene den Mut finden, sich von einem gewalttätigen Partner oder Mitbewohner zu trennen, bleiben viele an einen gemeinsamen Mietvertrag gebunden – mit gravierenden Folgen für ihre finanzielle, psychische und körperliche Sicherheit.

Die rechtliche Ausgangslage: Gemeinsam gebunden, gemeinsam gefangen

Wer in einer gemeinsamen Mietwohnung lebt – sei es als Paar, Wohngemeinschaft oder Familie –, unterschreibt häufig einen gemeinsamen Mietvertrag. Das bedeutet rechtlich: Beide Parteien haften gemeinsam für Mietzahlungen, Nebenkosten und Vertragslaufzeit. Zieht ein Partner aus, ohne dass der Vertrag angepasst oder gekündigt wird, bleibt er oder sie in der Pflicht. Bei häuslicher Gewalt bedeutet das: Auch nach einem schützenden Auszug müssen Betroffene weiter für Miete aufkommen – teilweise sogar für den Täter.

Ein Fall aus Hamburg verdeutlicht die Problematik: Eine Frau hatte sich aus einer gewalttätigen Beziehung gelöst und war in ein Frauenhaus geflüchtet. Der Ex-Partner verweigerte die gemeinsame Kündigung des Mietvertrags. Die Frau wurde weiter zur Zahlung verpflichtet – obwohl sie längst untergetaucht war. Der Vermieter pochte auf seine Rechte. Ein jahrelanger Rechtsstreit folgte.

Das Gewaltschutzgesetz: Ein erster Schritt, aber nicht genug

Das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) von 2002 erlaubt es Gerichten, einem Täter die Wohnung zuzuweisen – also ihn per richterlichem Beschluss zum Auszug zu zwingen. Auch nicht mietvertraglich eingetragene Betroffene können dadurch vorübergehend Schutz erhalten. Allerdings ist diese Regelung befristet – meist auf sechs Monate – und muss aktiv beantragt werden. Viele Betroffene scheuen diesen Weg aus Angst, Scham oder fehlendem Zugang zur Rechtsberatung.

„In der Theorie klingt das gut, in der Praxis versagt das Gesetz oft“, sagt Claudia Zimmermann, Beraterin in einem Hamburger Frauenhaus. „Gerade in der Eskalationsphase geht es ums Überleben. Dann auch noch einen Antrag beim Familiengericht zu stellen und mehrere Wochen auf die Anhörung zu warten, ist für viele unmöglich.“

Ein Teufelskreis aus Abhängigkeit und Schuld

Die rechtliche Verstrickung wirkt wie ein unsichtbarer Käfig: Die finanzielle Verantwortung für die gemeinsame Wohnung bleibt bestehen, selbst wenn das Opfer flüchtet. Besonders problematisch wird es, wenn die Betroffenen keinen Anspruch auf Sozialhilfe oder Notwohnungen haben, oder wenn es in der Umgebung keine verfügbaren Frauenhausplätze gibt.

2022 wurden laut dem Bundesverband Frauenhäuser bundesweit über 16.000 gewaltbetroffene Personen wegen Überfüllung abgewiesen. Die Folge: Betroffene bleiben häufig in der gefährlichen Wohnung – aus Angst vor Obdachlosigkeit.

Hinzu kommt die emotionale Dimension. „Viele Betroffene haben Kinder“, sagt Rechtsanwältin Melanie Hübsch aus Berlin. „Die Angst, diese aus der gewohnten Umgebung zu reißen oder keine andere Bleibe zu finden, hält viele davon ab, rechtzeitig zu gehen.“

Hamburg prescht vor – und fordert Reformen

Die rot-grüne Koalition in Hamburg hat das Problem erkannt und will es auf Bundesebene angehen. In einem Beschluss fordert die Hansestadt eine Reform des Mietrechts, um Opfer häuslicher Gewalt künftig schneller und rechtssicher aus Mietverträgen zu entlassen. Die Hamburger Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) betont: „Wenn Frauen sich aus einer gewaltvollen Beziehung lösen, dürfen sie nicht noch länger an den Täter gebunden bleiben – schon gar nicht über Mietverträge.“

Ziel der Initiative ist ein einseitiges Sonderkündigungsrecht für Gewaltopfer – unter gerichtlicher oder behördlicher Feststellung, dass Gewalt im Haushalt stattgefunden hat. Hamburg hat dazu eine Bundesratsinitiative gestartet, die breite Unterstützung von Frauenrechtsorganisationen und Mieterschutzverbänden erfährt.

Die Position der Bundesjustizministerin

Auch auf Bundesebene wird die Thematik zunehmend diskutiert. Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) zeigte sich offen für eine gesetzliche Nachbesserung. In einer Stellungnahme erklärte sie: „Niemand soll gezwungen sein, aus Angst vor rechtlichen oder finanziellen Konsequenzen in einer gewaltbelasteten Partnerschaft auszuharren. Wenn jemand misshandelt wurde, dann muss er oder sie so schnell wie möglich aus einem gemeinsamen Mietvertrag herauskommen können.“

Derzeit prüft das Ministerium mögliche gesetzgeberische Maßnahmen. Konkrete Eckpunkte eines Gesetzentwurfs gibt es jedoch noch nicht. Kritiker werfen dem Bund vor, zu zögerlich zu agieren.

Vermieterinteressen versus Opferschutz

Ein Kritikpunkt an der Reformidee ist der potenzielle Eingriff in Eigentumsrechte. Vermieterverbände warnen davor, dass einseitige Kündigungen das Vertragsgefüge gefährden und zu Mietausfällen führen könnten. „Wir haben Verständnis für den Schutz Betroffener“, so Rolf Jansen vom Eigentümerverband Haus & Grund, „aber es braucht auch Rechtssicherheit für Vermieter. Wer übernimmt die Haftung, wenn die andere Partei plötzlich verschwindet?“

Auch Mietrechtsexpert:innen weisen darauf hin, dass gesetzliche Lösungen immer auch Missbrauch verhindern müssen. Um die Schwelle für ein Sonderkündigungsrecht nicht zu niedrig zu legen, fordern sie verbindliche Nachweise – etwa in Form von polizeilichen Protokollen oder Gerichtsbeschlüssen.

Konkrete Reformvorschläge und Perspektiven

Ein denkbares Modell orientiert sich an der Praxis in Österreich, wo ein gerichtlicher Beschluss ausreicht, um den Mietvertrag für Betroffene zu beenden. Auch eine Art gerichtlich geprüfte „Härtefallkündigung“ mit Nachweis durch soziale Träger wäre möglich.

Zusätzlich wird vorgeschlagen, öffentliche Wohnungsunternehmen stärker einzubinden. Kommunale Wohnungen könnten als Notunterkünfte bereitgestellt werden, und Vermieter könnten gesetzlich verpflichtet werden, in Härtefällen einvernehmliche Vertragsänderungen zu ermöglichen.

Langfristig fordern Sozialverbände wie der Deutsche Juristinnenbund oder der Deutsche Frauenrat eine systematische Verbindung von Wohnrecht, Opferschutz und Sozialhilfe – etwa durch spezialisierte Ombudsstellen und Mietrechtsberatung für Gewaltopfer.

Was jetzt nötig ist

Experten und Betroffene sind sich einig: Es braucht nicht nur eine rechtliche Lösung, sondern ein ganzes Maßnahmenpaket. Dazu gehören:

  • ein einfaches, rechtssicheres Sonderkündigungsrecht,
  • mehr Frauenhausplätze und Notwohnungen,
  • finanzielle Überbrückungshilfen bei plötzlichem Wohnungsverlust,
  • eine verpflichtende Beratung durch Opferschutzstellen,
  • und bundesweite Schulungen für Vermieter und Gerichte.

Mietrecht darf kein Risiko für Betroffene sein

Häusliche Gewalt ist mehr als eine private Tragödie – sie ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die sich im Mietrecht besonders deutlich zeigt. Die Gesetzgebung hat bislang nicht ausgereicht, um Betroffene wirksam zu schützen. Wenn das eigene Zuhause zum Tatort wird, darf das Recht nicht auf Seiten der Täter stehen – sondern muss Betroffenen schnell, sicher und unbürokratisch den Weg in ein neues, gewaltfreies Leben ermöglichen. Die Reformdiskussion ist ein Hoffnungsschimmer. Doch sie darf kein Lippenbekenntnis bleiben.

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